Donnerstag, 30. Juni 2011
Europa jubelt, Griechenland rebelliert
Die Erleichterung bei EU und IWF ist groß: Nachdem das griechische Parlament das Sparprogramm beschlossen hat, scheint die Staatspleite abgewendet - doch in Athen eskaliert die Gewalt. Im Finanzministerium brennt es, ein Luxushotel wurde evakuiert.

Athen - Es sieht aus wie im Bürgerkrieg: Prügelnde Polizisten, brennende Barrikaden, steinewerfende Demonstranten. Tausende Menschen flohen in Panik vom Platz vor dem Parlament. Das Fernsehen zeigte am Mittwoch erschütternde Bilder von dem, was sich rund um das Gebäude in Athen abspielte.

Seit dem Nachmittag verschärfte sich die Lage. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas ein. Nach Medienberichten wurden Dutzende Demonstranten verletzt. Sicherheitskräfte hatte mehrere Zufahrtsstraßen zum Parlament gesperrt. Hunderte Vermummte randalierten und lieferten sich rund um den zentralen Syntagmaplatz Zusammenstöße mit der Polizei. Demonstranten griffen unter anderem das Finanzministerium an. Dort brach ein Feuer aus. Der Brand sei "in oder vor der Post" ausgebrochen, die im Erdgeschoss des Ministeriums untergebracht sei, erklärte die Feuerwehr. "Wir tun, was wir können", sagte ein Feuerwehrsprecher. Wegen der Gewalt könnten die Feuerwehrmänner allerdings kaum zum Gebäude vordringen. Vom Eingang der Post stieg dichter schwarzer Rauch auf.

Randalierer warfen nach Angaben der Polizei auch Brandflaschen auf zwei weitere Häuser. Die Feuerwehr konnte regelrecht in letzter Minute sieben Menschen aus einem brennenden Gebäude retten und das Feuer löschen, wie das griechische Fernsehen berichtete.

Wegen der schweren Ausschreitungen musste ein Luxushotel evakuiert werden, das King George Palace Hotel am Syntagma Platz. "Alle unsere Kunden wurden zur Sicherheit in anderen Hotels untergebracht", sagte ein Sprecher. Ein Angestellter sagte, die Gäste hätten die beißende Luft "nicht mehr ertragen" können.

Das griechische Parlament hatte zuvor das rigoriose Kürzungsprogramm der Regierung gebilligt . Nun kann das krisengebeutelte Land auf neue Finanzspritzen hoffen. Das Sparpaket von Ministerpräsident Georgios Papandreou sieht für die Jahre 2012 bis 2015 neben Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in Höhe von insgesamt etwa 28 Milliarden Euro auch umfangreiche Privatisierungen im Umfang von rund 50 Milliarden Euro vor.

Das Paket ist zwingende Voraussetzung, damit EU und Internationaler Währungsfonds ( IWF) die nächste Hilfstranche aus dem 110 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds für Griechenland freigeben. Ohne diese Unterstützung wäre das Land bis Mitte Juli zahlungsunfähig. Bei der mit Spannung erwarteten Entscheidung votierten 155 Abgeordnete mit Ja, 138 mit Nein. Damit fiel die Mehrheit größer aus als erwartet. Auch eine Abgeordnete der konservativen Opposition und der sozialistische Abgeordnete Alexandros Athanasiadis, der zuvor seine Ablehnung angekündigt hatte, stimmten für das Paket. Demonstranten bewarfen Athanasiadis später beim Verlassen des Parlamentsgebäudes mit Gegenständen.

Auch in anderen Städten Griechenlands demonstrierten Menschen gegen die Entscheidung. Die Gegner argumentieren, dass Athen bereits mit seinem ersten Sparprogramm gescheitert sei und das neue Vorhaben die Lage des Landes noch weiter verschlimmern werde. Sofort in Kraft treten kann das Sparpaket trotz der Zustimmung im Parlament indes nicht. Zunächst muss noch ein Durchführungsgesetz verabschiedet werden, das am Donnerstag auf der Tagesordnung steht.

IWF: "Das sind gute Nachrichten"

Während die Wut in Griechenland steigt, begrüßten die Geldgeber die Entscheidung. "Das sind gute Nachrichten", sagte der kommissarische IWF-Chef John Lipsky in Washington. Er betonte, dass damit nicht nur der Weg frei sei für unerlässliches Einsparungen, sondern vor allem für "strukturelle Veränderungen" der griechischen Wirtschaft.

"Ich bin glücklich und erleichtert", sagte Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker. "Mit diesem Programm zementiert Griechenland seine Zusage für eine Sanierung seiner wirtschaftlichen und finanziellen Lage." EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionschef José Manuel Barroso erklärten, damit entferne sich Athen vom Katastrophenszenario einer Staatspleite. "Das war ein Votum der nationalen Verantwortung."

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich erleichtert. Die Zustimmung des griechischen Parlaments habe die Stabilisierung des Euro ein "ganzes Stück vorangebracht". Der Beschluss ermögliche einen nachhaltigen Schuldenabbau und gleichzeitig Wirtschaftswachstum, sagte Merkel.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) begrüßte den Sparbeschluss ebenfalls. "Griechenland hat in der Vergangenheit über seine Verhältnisse gelebt", so Rösler. "Um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, muss Griechenland einen konsequenten Wachstumspfad einschlagen." Rösler bezeichnete die Sparmaßnahmen als "Lichtblick, nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa".

Die Finanzmärkte in ganz Europa reagierten positiv auf das Votum. Der Dax Chart zeigen schloss mit plus 1,73 Prozent bei 7294 Punkten. Der CAC 40 Chart zeigen legte in Paris um 1,88 Prozent auf 3.924 Punkte zu. Der FTSE 100 stieg in London um 1,54 Prozent auf 5855 Punkte. EuroStoxx 50 Chart zeigen schloss 1,89 Prozent höher bei 2802 Punkten.

Die Lage im Land bleibt trotz der Abstimmung angespannt. Ein Generalstreik sorgt an diesem Mittwoch den zweiten Tag in Folge für Dutzende Flugausfälle oder -verschiebungen. Fähren bleiben in den Häfen, in den Krankenhäusern arbeiten Notfallteams. Zehntausende Griechen hatten schon in den vergangenen Tagen gegen massive Kürzungen bei Gehältern und Sozialleistungen protestiert.

Die Euro-Finanzminister werden am kommenden Sonntag zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammenkommen, um über die anstehende Kredittranche von insgesamt zwölf Milliarden Euro aus dem alten Hilfsplan zu entscheiden. Davon entfallen 8,7 Milliarden Euro auf die Europäer, die restlichen 3,3 Milliarden Euro auf den Internationalen Währungsfonds. Fließt das Geld nicht, ist Griechenland direkt pleite.