Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Krise in Griechenland
Bielefeld (ots) - Den Griechen fehlt Geld, sehr viel Geld. Weit schlimmer aber ist, dass Europa eine Idee fehlt. Europa fehlt eine Idee von seiner Zukunft. Wer aber nicht weiß, wo er hinwill, kann auch nicht recht vorankommen. Nur wegen dieser Orientierungslosigkeit konnte die Griechenland-Krise zu einer Krise der gesamten EU werden. Manch langjähriger politischer Beobachter sieht gar die größte Bedrohung für Europa seit 1945. Nach den Notoperationen der vergangenen Tage kann man zwar sagen, dass der Patient Griechenland noch lebt. Seine Rettung aber ist keineswegs gewiss. Die nächste bange Frage lautet: Bekommt die Regierung Papandreou für ihre neuen Sparpläne am Dienstag eine ausreichend breite Mehrheit im Parlament? Nur wenn das gelingt, werden weitere Kredite frei. Dabei übersteigt es schon jetzt unsere Vorstellungskraft, was den Griechen abverlangt wird. Übertragen auf unseren Haushalt müsste Finanzminister Wolfgang Schäuble zwischen 70 und 80 Milliarden Euro einsparen - pro Jahr. Nicht auszudenken, was von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen los wäre, wenn dafür mal eben der Mehrwertsteuersatz auf 26 Prozent angehoben würde. Das alles darf und soll freilich nicht über die schweren Fehler der Griechen hinwegtäuschen. Da wurde getrickst und getäuscht. Doch vergessen wir nicht: Auszubaden haben das nun vor allem jene, die an der Misere nicht schuld sind. Das Versagen der griechischen Politik, die mangelnde Solidarität der griechischen Eliten, die Korruptheit des Staatsapparats - all das wird auf dem Rücken der kleinen Leute ausgetragen. Können uns da die Proteste und die Wut der Menschen wundern? Ohnehin wird Griechenlands Rettung nicht am Geld, sondern allenfalls am Willen scheitern. Die griechische Volkswirtschaft allein ist viel zu klein, um Europa in Gefahr zu bringen. Dramatisch ist allein die Ansteckungsgefahr, die sich aus Misstrauen und Egoismus speist. Egoismus, wie ihn die griechischen Konservativen beweisen. Oppositionsführer Antonis Samaras hat den eigenen politischen Erfolg, nicht die Zukunft seines Landes im Blick. Am unbedingten Willen fehlt es aber auch andernorts. Kanzlerin Angela Merkel fürchtet den Zorn der Deutschen, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy Milliardenabschreibungen für seine Banken. Nationalstaatliches Kalkül verengt die Perspektive. Doch Europa muss mehr sein als eine Frage des Geldes. Europa ist unsere einzige Chance auf eine erfolgreiche Zukunft. Deshalb brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Europa. Allein wird Deutschland den Wettbewerb mit China und Indien, mit Brasilien und Japan nicht bestehen können. Schon heute sind die Alarmzeichen nicht zu übersehen: Die alte Welt ist in einer Krise. Dramatisch ist die Verschuldung der Staaten nicht nur im Euro-Raum, sondern auch in Großbritannien und vor allem in den USA. Es wird höchste Zeit, über die Krise hinauszudenken. Griechenland kann man mit Geld retten. Wer Europa retten will, muss mehr bieten.

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